Konversation im Korridor

Ich mag diese langen, hässlichen Korridore in modernen Bürokomplexen nicht. Sie wissen sicher, woran ich denke... ein trostloser, kunststoffarbener, linoleumbelegter, phantasieloser Gang mit zwei Reihen absolut gleichartiger Teakholztüren, die man unweigerlich verwechseln würde, wenn man nicht durch kleine Metallschilder, in Augenhöhe eines Gardisten an jeder Tür angebracht, erkennen könnte, wer sich dahinter verbirgt: Käse aus Holland, Europa Express, Textila-Danco, Deutscher Schrott und die Elternaufsichtsbehörde. Ich habe neuerdings mein Büro am Ende eines solchen Korridors und mehrmals am Tag muss ich mich zum anderen Ende des Korridors begeben, wo sich der Waschraum und die Aufzüge befinden. Das würde mich alles überhaupt nicht stören, wenn ich nicht andauernd dem Mann begegnete, der sein Büro neben meinem hat, nämlich Käse aus Holland. Da Käse aus Holland weiß,wer ich bin und da ich weiß, dass er Käse aus Holland ist, bin ich der Meinung, dass man sich höflich grüßen und im Vorbeigehen ein paar Worte miteinander wechseln sollte.

Am Morgen, wenn wir uns das erste Mal begegnen, nicke ich ein freundliches "Guten Morgen - guten Morgen!". Das ist noch einfach. Es passt jedoch nicht den ganzen Tag. Bei der zweiten Begegnung auf dem Korridor sage ich: "Welch eine Hitze!" oder "Ist das aber kalt heute!", worauf Käse aus Holland antwortet: "Ja, das kann man wohl sagen!"

Wenn wir das dritte Mal aneinander vorbei müssen, wird es schon schwieriger. "Na, Sie auch?" sage ich dann meistens, "Die Welt ist klein!". "Ja, nicht wahr?" lächelt Käse aus Holland und damit ist es geschafft. Beim vierten Mal versuche ich, irgendeinen Ausdruck aus dem Business anzubringen, zum Beispiel: "Still going strong?!  "Yes, Sir!" antwortet Käse aus Holland, um damit anzudeuten, dass er meine flotte Bemerkung zu würdigen weiß.

Die Zeit für's zweite Frühstück naht und ich muss hinunter in die Kantine, um ein paar belegte Brötchen zu holen. Es trifft sich fast immer, dass ich auf dem Korridor Käse aus Holland begegne - er hat die gleiche Absicht wie ich. Bin ich auf dem Weg nach unten, sage ich: "Fütterung der Raubtiere!". Gleichzeitig mache ich ein paar lustige Kaubewegungen. Wenn ich schon auf dem Rückweg bin, halte ich die Brötchentüte vor mich und sage: "Schon wieder die gleichen trockenen Krusten!". Dann lächelt Käse aus Holland und wünscht mir guten Appetit.

Wie Sie sehen, ist das Frühstück nicht das Schlimmste. Es wird viel schwieriger, wenn wir uns anschließend begegnen, der eine geht zum Händewaschen, der andere kommt gerade von dort. Hierzu fällt mir nicht so leicht etwas lustiges ein. Aber wir meistern das Problem, seit ich die Idee hatte im Augenblick der Begegnung das Handtuch in der Art eines Toreros vor mich zu halten und leicht vor Käse aus Holland hin und herzuhüpfen. Er stößt dann mit imaginären Hörnern nach mir und ich rufe: "Olé! Olé!"

Der Nachmittag schreitet voran und langsam wird das Gehirn müde. Wenn wir uns zum vielleicht zehnten Mal auf dem Flur begegnen, wird es naturgemäß immer schwieriger, unsere freundliche Einstellung zueinander zum Ausdruck zu bringen. Manchmal mache ich dann zum Spaß ein paar Sprint-Schritte mit hochgezogenen Schultern und Ellbogen, während ich an ihm vorbei muss. Käse aus Holland sprintet auch ein paar Schritte und auf diese Art erzählen wir uns, dass wir beide diesen Korridor idiotisch lang finden. Bei der nächsten Begegnung lasse ich dann die Arme schlaff herunterhängen und Käse aus Holland lächelt, um anzudeuten, dass er verstanden hat, worauf ich hinaus will - nämlich, dass es immer noch ein idiotisch langer Korridor ist.

Mit der Zeit sind jedoch meine Ressourcen erschöpft und dann bleibe ich so weit wie möglich in meinem Büro, bis ich höre, dass Käse aus Holland seine Tür abschließt und nach Hause geht. Erst dann packe ich meine Sachen, ziehe meinen Mantel an und spaziere in aller Ruhe zu den Aufzügen. Es ist ein befreiendes Gefühl, zu wissen, dass Käse aus Holland nicht mehr plötzlich auftaucht und dass es nicht mehr nötig ist, sich das Gehirn auszuquetschen, um irgend eine lustige Art zu finden, ihn zu grüßen.

Es war 16:15 Uhr. Ich hätte eigentlich schon um 16 Uhr gehen wollen, aber ich hatte immer noch nicht gehört, wie Käse aus Holland den Schlüssel in seiner Tür herumdreht und daher wartete ich meinem Büro. Im Laufe des Tages waren wir uns nicht weniger als 15 Mal auf dem Korridor begegnet und beim letzten Mal war mir nichts besseres eingefallen, als im Vorbeigehen so zu tun, als würde ich Käse aus Holland ein Bein stellen und dann hatte Käse aus Holland auch so getan, als würde er mir ein Bein stellen. Irgendwie hatten wir uns dabei aber beide auf den Boden gesetzt. Ich sagte: "Hoppla!", Käse aus Holland sagte auch: "Hoppla!". Dann ging jeder schnell wieder seiner Wege. Um 16.45 Uhr konnte ich nicht länger warten. Ich öffnete vorsichtig meine Tür und sondierte das Terrain. Im gleichen Augenblick öffnete auch Käse aus Holland vorsichtig seine Tür...

...es war just dieser Augenblick, in dem mir aufging, dass er vielleicht über die ganze Entwicklung genauso verzweifelt war wie ich !

Falls das zutrifft und falls sie dies lesen, lieber Käse aus Holland, sollten wir uns dann nicht dahingehend einigen, dass wir in Zukunft, wenn wir uns auf dem Korridor begegnen, so tun, als ob wir beide zufällig im Gebäude etwas zu erledigen hätten und einander daher auch nicht zu grüßen brauchen? Wir könnten uns stattdessen vielleicht zu Weihnachten und Neujahr eine Karte schreiben? Bei Weihnachtsgrüßen braucht man nicht so viel Einfallsreichtum ... !!!

 

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